Es gibt Tage, da ist meine Partnerschaft für mich der Himmel auf Erden, ich fühle mich verbunden, aufgehoben, geliebt und genieße in vollen Zügen das Zusammensein mit meinem Mann. Und dann gibt es da die anderen Tage. Da reiben wir uns aneinander, triggern gegenseitig schmerzhafte Punkte beieinander und möchten uns gerne gegenseitig auf den Mond schießen.
Mein Mann möchte den Abend nicht mit mir verbringen. Er möchte Zeit für sich selbst haben. Einmal möchte er einen Freund treffen und ein anderes Mal ein Wochenende alleine wegfahren. Ich sehne mich nach Verbundenheit und Nähe. Er wirft mich immer wieder auf mein Bedürfnis zurück und lädt mich ein, danach zu schauen und Selbstfürsorge zu leben. Ich beginne nach alternativen Strategien zu schauen, um mir Nähe zu erfüllen. Ich treffe mich mit Freundinnen, verwöhne mich selbst und gehe zu einer Kuschelparty. Meine Beziehung zu mir selbst wird mir immer wichtiger. Mehr und mehr kann ich mich selbst so lieben und annehmen wie ich bin und mir selbst nah sein. Das nächste Zusammensein mit meinem Mann genieße ich sehr. Es ist eine intensive Nähe zwischen uns spürbar. Ich bin mir selbst und auch ihm näher gekommen. Wenn er diese Abende mit mir verbracht hätte, hätte ich dazu keine Gelegenheit gehabt. Da wäre vielleicht Harmonie gewesen. Aber keine Entwicklung. Wozu also bist du in einer Partnerschaft? Nur zum Genießen oder auch zum Wachsen?
Entwicklungszone oder Schlaraffenland?
Wir alle laufen mit einem Rucksack voller innerer Themen durchs Leben. Viele dieser Themen sind ungelöst, ungefühlt, abgelehnt oder verdrängt. Zu Beginn einer Partnerschaft befinden wir uns im Schlaraffenland. Wir sind verliebt und es ist nur schön miteinander. Nach einer Zeit endet diese Phasen und dieser so wundervolle Mench an unserer Seite beginnt uns zu nerven, zu ärgern oder aufzuregen. Je näher wir einander kommen, desto öfter berührt er meine inneren Themen, die ich so sorgfältig weggepackt und verdrängt habe.
Nun stellt sich für mich die Frage, ob ich bereit bin, mich diesen inneren Themen zu stellen, sie aus dem Rucksack auszupacken, anzuschauen, zu fühlen und zu integrieren. Kann ich meine Partnerschaft als Entwicklungszone sehen, als einen Raum für Wachstum, Ganzwerdung und Heilung?
Partnerschaft als Spiegel
Stell dir mal vor, du wärst hier in deinem Leben, um bestimmte Entwicklungsaufgaben für dich zu lösen, um etwas Bestimmtes zu lernen und um innerlich zu wachsen. Und damit du Gelegenheiten für dieses Wachstum hast, präsentiert dir das Leben genau den richtigen Partner. Ich habe mich zum Beispiel lange gefragt, warum ich als näheliebende Frau mir einen Mann ausgesucht habe, dem Autonomie besonders wichtig ist. Mein Mann hat mich immer wieder auf mich selbst zurückgeworfen. Und das hat er so lange getan, bis ich begonnen habe, mich meinem starken Bedürfnis nach Nähe selbst zuzuwenden und Selbstfürsorge zu leben.
Dein Partner hält dir immer wieder den Spiegel vor:
Schau, da kannst du noch wachsen.
Schau, diesen inneren Konflikt hast du noch nicht für dich gelöst.
Schau, da darfst du Verantwortung für dich übernehmen.
Bist du bereit, in den Spiegel zu schauen? Bist du bereit, die Verantwortung zu übernehmen und zu schauen, was das alles mit dir selbst zu tun hat? Oder möchtest du die Schuld weiterhin deinem Partner zuschieben so nach dem Motto: Wenn du dich anders verhalten würdest, hätte ich dieses Problem nicht. Vielleicht gibt es in dir sogar die Tendenz aus der Partnerschaft zu fliehen. Um endlich Ruhe zu haben. Um diese furchtbar unangenehmen Gefühle nicht fühlen zu müssen. Um keine Verantwortung übernehmen zu müssen.
Gehen ist soviel einfacher
Kennst du den Begriff der seriellen Monogamie? Dabei leben Menschen eine monogame Partnerschaft nach der anderen. Wenn es mit einem Menschen zu schwierig wird, dann gehen sie und versuchen es mit dem nächsten. Wie ist das bei dir? Kennst die die Tendenz zu flüchten, wenn es schwierig wird?
Du kannst dich entscheiden zu gehen, wenn es schwierig wird. Das Problem dabei ist, dass du dich selbst mitnimmst. Und damit auch alle wunden Punkte, die dein Partner bei dir immer wieder getriggert hat. Erst einmal wird es dir besser gehen, wenn du nur mit dir alleine bist. Ich gehe abr mal davon aus, dass du nicht alleine bleiben möchtest. Die Wahrscheinlichkeit, dass dir über kurz oder lang beim nächsten Partner die gleichen inneren Themen wieder begegnen ist sehr hoch. Unsere Meinung ist, dass du dann auch gleich in deiner Partnerschaft bleiben kannst. Und dass es sich lohnt, sich gemeinsam auf einen Entwicklungsweg zu begeben.
Es gibt eine Geschichte von einem Mann, der hat sich soviel mit einer Partnerin gestritten, dass er irgendwann gegangen ist. Er ist ausgewandert und lebte jahrelang in einer Höhle in den Bergen, meditierte und klärte seine inneren Themen. Er wurde ein bekannter Meister und Weisheitslehrer. Tausende kamen, um ihm zuzuhören. Eines Tages war auch seine damalige Frau unter den Zuhörern. Als er ihr in die Augen schaute, was sein innerer Frieden wie weggeblasen und all seine inneren Themen wurden ihm wieder schmerzlich bewusst. Er stand auf und sagte zu seinen Schülern: Ich bin noch nicht am Ziel angekommen, denn das Leben hat mir gezeigt, dass ich noch etwas zu lernen habe. Er nahm seine Frau an der Hand und verließ mit ihr zusammen den Berg.
Der andere ist nur der Auslöser
Kannst du dich für den Gedanken öffnen, dass dein Partner nur der Auslöser ist und die Ursache, warum du so fühlst, wie du fühlst, in dir selbst liegt? Wir verwenden da gerne das Bild von dem Pulverfass und dem Funken. Das, was dein Partner sagt oder tut ist nur der Funke. Das Pulverfass trägst du in dir. In diesem Fass sind alle deine inneren Themen, alle deine ungelösten und verdrängten Gefühle und Bedürfnisse enthalten. Wenn du nicht gut für dich selbst sorgst, füllt sich dieses Pulverfass mehr und mehr. Und beim nächsten Mal, wenn dein Partner einen Funken wirft, explodierst du. Dein Partner kann diese Explosion nicht machen. Er kann nur einen Funken werfen. Ob du explodierst oder ob du gelassen reagierst liegt in dir. Es könnte ja auch sein, du hast so gut für dich selbst gesorgt und bist so gut mit dir selbst verbunden, dass du eine Regentonne in dir trägst. Wenn der Funken in diese Regentonne fällt, macht es kurz zisch und nichts weiter passiert.
Nicht das, was dein Partner sagt und tut, ist also das Problem, sondern dein innerer Umgang damit. Dein innerer Umgang damit spiegelt sich in deiner inneren Haltung wieder. Du kannst die Verantwortung für deine inneren Pulverfässer übernehmen und dafür sorgen, dass du mehr Regentonnen in dir trägst. Und du wirst deine Partnerschaft ganz anders erleben.
Sich nackt und verletzlich zeigen
Warum fällt es uns so schwer, hinzuschauen und uns unseren inneren Themen zuzuwenden? Warum fällt es vielen so schwer, Selbstverantwortung zu übernehmen? Weil es erfordert, mich nackt und ungeschönt zu zeigen, mit all meinen Macken, Unsicherheiten und Ängsten. Mich ganz in meine Partnerschaft hineinzugeben und das Vertrauen zu haben, so geliebt und angenommen zu werden wie ich bin.
Ich sitze weinend auf der Couch. Ich fühle mich einsam und traurig, mutterseelenalleine. Meine alternativen Strategien sind mir ausgegangen. Ich habe die Verbindung zu mir selbst verloren. Endlich kommt mein Mann nach Hause. Er nimmt mich in den Arm. Ich zeige mich ihm mit meiner Angst, meinen Wunden und meinen Bedürfnissen. Ich schäme mich, mich so zu zeigen, es kostet mich Überwindung. Aber ich tue es. Mein Mann hört mir zu. Ich spüre Annahme. Das unterstützt mich wieder in die Selbstannahme und Selbstliebe zu kommen. Wir haben viel an unserer Kommunikationsbasis gearbeitet, um gemeinsam an diesen Punkt zu kommen.
Miteinander und aneinander wachsen
Ich sitze eng umschlungen mit meinem Mann auf der Couch. Ich spüre die Verbundenheit zwischen uns. Und sage: Wo wäre ich in meiner Entwicklung, wenn ich dich nicht hätte? Mein Mann lächelt mich an und sagt: Das geht mir doch genauso. Ich spüre Dankbarkeit in mir für unseren gemeinsamen Entwicklungsweg und ich kann innerlich sagen:
Danke, dass du mich liebst und immer wieder forderst. Danke, dass du mir den Spiegel vorhältst. Danke, dass du mir meine Themen und blinden Flecken zeigst. Danke, dass du nicht so bist, wie ich dich gerne haben würde, denn dann gäbe es keine Entwicklung in meinem Leben.