Embodiment – im Körper zu Hause sein

Embodiment lässt sich übersetzen mit Verkörperung. Es bedeutet im Körper zu sein, den eigenen Körper wahrzunehmen und zu spüren und sich im eigenen Körper zu Hause zu fühlen. Jetzt denkst du vielleicht: natürlich bin ich in meinem Körper, ich lebe mit ihm usw. So einfach ist es aber nicht. Ich kann einen Körper haben, ihn aber nicht bewohnen. Das ist wie wenn ich ein Haus besitze, aber selten zu Hause bin, weil ich oft woanders bin.

Warum fällt es vielen Menschen so schwer, ihre Körperempfindungen und Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken? Warum schaffen sie es nicht, sich liebevoll um ihren Körper zu kümmern? Warum ist das Befassen mit dem eigenen Körper oft mit Scham besetzt? Im folgenden möchte ich darauf einige Antworten geben.

Bist du im Kopf oder im Körper?

Viele Menschen bewohnen ihren Körper nicht und fühlen sich nicht wohl in ihrem Körper, sie fühlen sich nicht zu Hause. Das kann verschiedene Ursachen haben.

Wir leben in einer kognitiv geprägten Leistungsgesellschaft. Denken wird höher bewertet als Fühlen und Empfinden. Das erleben Kinder schon früh in der Schule und auch im Elternhaus. Die Folge ist, dass wir viel im Kopf unterwegs sind und wenig Zugang zu Empfindungen und Gefühlen haben.

 

 

 

“Cogito, ergo sum.”

“Ich denke, also bin ich.”

René Descartes

Kognitives Übergewicht

Hinzu kommt, dass die meisten Menschen als Kinder wenig Berührung erfahren haben. Über Berührungen lernen Kinder ihren Körper wahrzunehmen und sich in ihm wohl zu fühlen, ja eine Beziehung zum eigenen Körper aufzubauen. Wenn Kinder wenig Berührung erfahren, findet wenig Verkörperung statt.

Zudem haben viele Menschen als Kinder die Erfahrung gemacht, dass sie sich selbst nicht berühren durften, besonders im Intimbereich. In Folge haben sie wenig Verbindung zu diesen Körperteilen und empfinden Scham, wenn sie sich selbst berühren oder von anderen berührt werden.

Verkörperung ist eine wichtige Grundlage für eine erfüllende Sexualiät. Und eine fehlende oder unzureichende Verkörperung ist oft eine der Ursachen für eine unbefriedigend erlebte Sexualität oder sexuelle Probleme wie Lustlosigkeit, Schwierigkeiten zum Orgasmus zu kommen oder vorzeitige Ejakulation.

Über Berührungen in der Tantramassage, der Yonimassage und in der sexologischen Körperarbeit können Erwachse wieder einen Zugang zu ihrem Körper bekommen und so ihr Erleben und ihre Sexualität verändern.

Verkörperung findet auf verschiedenen Ebenen statt. Wenn wir mehr Verkörperung erreichen möchten, können wir mit diesen Ebenen arbeiten.

 

Verkörperung

Denken: Gedanken

Spüren: Empfindungen

Fühlen: Gefühle

Impressionen: Bilder, Töne, Gerüche

Handeln: Bewegung, Berührung

Nach meinem ersten Tantramassagewochenende war mein Fazit in der Abschlussrunde: “So intensiv habe ich meinen Körper schon lange nicht mehr gespürt. Da sind ganz neue Türen aufgegangen, die mich neugierig machen, da weiter zu forschen und neue Erlebensräume zu erschließen.”

Die Erfahrungen, die ich bei der Berührung in diesem Seminar gemacht habe, haben eine tief sitzende Sehnsucht in mir wach gerufen: Die Sehnsucht nach mehr Verkörperung. Die Sehnsucht, mich in meinem Körper voll und ganz zu Hause zu fühlen.

Die Wechselwirkung von Körper und Psyche

Unser Körper und unsere Psyche (Gefühle, Handlungen) sind untrennbar miteinander verbunden und beeinflussen sich wechselseitig. Wenn du in eine hohe Körperspannung gehst und flach atmest wird es dir nicht möglich sein, mit anderen Menschen in Verbindung zu gehen und dein Herz zu öffnen. Du kannst deinen Körper beobachten und daraus Schlüsse ziehen, wie es dir gerade geht:
  • Wie atmest du (flach, tief, schnell, langsam)?
  • Wie ist deine Muskelspannung (angespannt, entspannt, schlapp)?
  • Wie ist deine Körperhaltung (offen, verschlossen, Raum einnehmend, begrenzend)?

Umgekehrt ist es auch so, dass die Gefühle eines Menschen sich im Körper niederschlagen und ablesen lassen. Versuche mal in eine hohe Körperspannung zu gehen, flach zu atmen und wenig Raum einzunehmen, wenn du total glücklich bist. Das funktioniert nicht.

Wenn wir also mit dem Körper arbeiten, was wir in der Tantramassage und in der sexologischen Körperarbeit tun, sind wir uns dieser Wechselwirkung bewusst und nutzen sie.

Gefühle fühlen

Viele Menschen tun sich schwer damit, ihre Körperempfindungen und Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Der Grund ist oft, dass sie als Kind neben wenig Berührung keine hinreichende, fehlerhafte oder gar keine Spiegelung erfahren haben. Die Erwachsenen haben die Gefühle des Kindes gar nicht beachtet, negiert oder falsch interpretiert. Das Kind hat so gelernt, Gefühle zu unterdrücken.

Wir drücken Gefühle über unseren Körper aus. Körperempfindungen sind der Schlüssel, um mehr Zugang zum Körper zu bekommen. Empfindungen sind etwas ganz anderes als Gefühle. Sie geben Auskunft darüber, wie sich der Körper physisch anfühlt. Gefühle sind dann die Bedeutung und die Worte, die wir diesen Empfindungen geben.

Körperempfindungen

kalt / warm / heiß / frostig
wackelig / zittrig / bebend
hart / weich / fließend
stark / fest / verspannt
taub / prickelnd / kribblig
seidig / angenehm / strömend
klebrig / locker / leicht
juckend / brennend / pochend
frei / viel Raum / eng / begrenzt

Gefühle

traurig / ängstlich / erschrocken
wütend / irritiert / empört / ärgerlich
frustriert / angeekelt / abgeneigt
ohnmächtig / einsam / verzweifelt
durcheinander / unsicher / unruhig
freudig / glücklich / erfüllt / zufrieden
erleichtert / sicher / entspannt / ruhig
begeistert / inspiriert / kraftvoll
geborgen / verbunden / lebendig

Gefühle sind interpretierte Körperempfindungen.

Ein Beispiel: Ich fühle einen Kloß im Hals (Körperempfindung) und interpretiere das als Traurigkeit (Gefühl). In meinem Sprachzentrum wird also der Körperempfindung Kloß im Hals das Gefühlswort traurig zugeordnet. So findet somatisches Lernen (Lernen über den Körper) statt. Ich nehme zunächst die Körperempfindung wahr und gebe dieser dann Worte. Und diese Zuordnung von Empfindungen zu Gefühlen ist individuell und bei unterschiedlichen Menschen anders ausgeprägt.

Eine Hand am Rücken und eine Hand auf dem Bauch kann zum Beispiel als halt gebend und stützend oder als einengend empfunden werden.

In unseren Tantramassagen und in der Beratungspraxis arbeiten wir bewusst mit Sprache, um unseren Körperempfindungen Worte zu geben. Verkörperung braucht beides: Spüren / Fühlen und Benennen / Ausdrücken.

In Bewegung kommen

Verkörperung findet durch Bewegung statt. Was hilft dir, ganz in deinem Körper anzukommen? Für den einen ist es Tanzen, Schütteln, abklopfen oder joggen und für den anderen Sex, Yoga, Tai Chi oder…

Auch in der Tantramassage und in der sexologischen Körperarbeit arbeiten wir mit Bewegung. Es ist zentral Bewegungsimpulse wahrzunehmen und zu achten. Und wieder Vertrauen zu gewinnen in die Impulse, die vom Körper kommen. Menschen, die belastende oder traumatische Ereignisse erlebt haben, kennen gut den Körperzustand der Erstarrung, weil sie damals nicht kämpfen oder flüchten konnten. Wenn wir Bewegungsimpulsen nachgehen, geben wir den Menschen die Gelegenheit neue Erfahrungen zu machen und über Bewegung mehr Verkörperung zu erfahren.

Dein Körper ist dein zuHause

Ob wir erschöpft sind und eine Pause brauchen, ob wir Hunger haben, ob wir einen Menschen sympathisch finden, ob wir allein sein wollen oder in Gemeinschaft – all das können wir nur wahrnehmen, wenn unser Körper und unser Gehirn gut zusammen arbeiten – also wenn wir verkörpert sind.

Unser Körper ist ein Leben lang unser Zuhause. Wir können diesen Körper mehr oder weniger bewohnen. Verkörperung beginnt schon in der Schwangerschaft und bei der Geburt. In den ersten Jahren ist ein Kind vollkommen abhängig von seinen Eltern. Erfahrungen von Berührung, Spiegelung und Bindung unterstützen das Kind mehr und mehr im Köper zu landen und ihn als sicheren Ort zu erfahren. Erfahrungen von Vernachlässigung, Grenzüberschreitungen oder Gewalt hingegen können zu einem “aus dem Körper gehen”, zu einer Entkörperung führen. Das Kind fühlt sich in seinem Körper nicht sicher und trennt sich von seinen Empfindungen, Gefühlen und Bewegungsimpulsen ab.

Den eigenen Körper wieder bewohnen

Wie kann es nun gelingen, wieder ein positives Körperbewusstsein zu erlangen, wo das natürliche Körperzuhause verloren gegangen ist?

Dazu gibt es verschiedene Schlüssel. Über die Wahrnehmung von Körper-empfindungen und Gefühlen und über das Umsetzen von Bewegungsimpulsen habe ich bereits geschrieben.

Nun möchte ich mich noch der Berührung als ein Schlüssel zur Verkörperung widmen. In der Tantramassage und in der sexologischen Körperarbeit steht uns dieser Schlüssel zur Verfügung. In unseren Angeboten können Menschen Berührung erleben und dabei auch neue Berührungserfahrungen machen.

Berührt zu werden, ohne dass wir etwas leisten müssen, einfach nur, weil wir es verdient haben, achtsam berührt zu werden, weil wir sind: Das ist etwas zutiefst Heilsames und Natürliches. Es bringt uns zurück zu dem, was wir wirklich sind.

Welche neuen Erlebensräume sich dabei öffnen können kann der folgende von mir verfasste Text verdeutlichen:

Berührt

Da ist jemand der mich sieht, hört und fühlt.

Da ist jemand, der mich so annimmt, wie ich bin.

Da ist jemand, der darauf reagiert, was ich möchte und was ich nicht möchte.

Da ist jemand, der meine Grenzen respektiert.

Da ist jemand, der mich hält.

Da ist jemand, der mit mir in Verbindung ist.

Ich lande mehr und mehr in meinem Körper.

Ich nehme meinen Körper als sicheren Ort wahr.

Ich spüre meine Körperempfindungen und Gefühle.

Ich gehe meinen Impulsen nach.

Ich bin tief verbunden mit mir selbst – vielleicht zum ersten Mal.

Durch Verkörperung können wir eine Balance schaffen, ein Gegengewicht zum kognitiven Übergewicht.

 

 

„Sentio, ergo sum.“

 „Ich spüre, also bin ich.“

Caroline Wolfgang

Verkörperung schafft Balance

Unser Wunsch ist es zu mehr Verkörperung, zu mehr Körperbewusstsein und einem neuen Körpererleben beizutragen. Deswegen haben wir unsere Angebote zur Gewaltfreien Kommunikation um die Tantramassage und die sexologische Körperarbeit erweitert. Weil Berührung uns tief im Innen erreicht. Weil durch Berührung Veränderung möglich ist. Weil Berührung zum Ganzwerden beiträgt.

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