Mehr spüren und genießen beim Sex

In Filmen, Serien und Büchern erleben die Menschen scheinbar eine durchweg erfüllende, ekstatische und genussvolle Sexualität und verschmelzen miteinander. Da bekommt man schnell den Eindruck, Ekstase, ausschweifende Lust und umwerfende Orgasmen seien ganz selbstverständlich. Sex fühlt sich immer toll an. Oder nicht?

Oft sieht die Realität anders aus. Sexualität fühlt sich bei weitem nicht immer genussvoll und ekstatisch an. In vielen Beziehungen treten früher oder später Schwierigkeiten in der gelebten Sexualität auf. Damit einher geht eine starke Verunsicherung und es tauchen Selbstzweifel und Fragen auf: Warum spüre ich so wenig, wenn wir vereinigt sind? Warum fühlen sich meine Orgasmen eher unspektakulär an? Warum erlebe ich Schmerzen statt Genuss? Was stimmt mit mir nicht?

In den allermeisten Fällen ist alles in bester Ordnung. Aber wir erleben Sexualität so, wie wir sie gelernt haben. Und wir wissen nicht, dass wir Berührungen und Körpererlebnisse beeinflussen können und dass wir lernen können, Lust und Genuss beim Sex zu steigern.

 

Weniger spüren als Schutzfunktion des Körpers

Alles, was wir erleben, empfinden wir im Körper und alles, was wir erleben findet  über unseren Körper seinen Ausdruck – in unserer Haltung, der Körperspannung, der Atmung, der Stimme, der Bewegung. Unser Körper speichert und spiegelt sämtliche Erfahrungen unseres Lebens, auch die, die wir rund um Sexualität gemacht haben.

Eine sexualfeindliche, schambesetzte Erziehung kann dazu führen, dass wir unbewusst Lust und Genuss beim Sex ablehnen oder uns nicht erlauben. Wenn wir als Kinder nicht lebendig, ausdrucksstark oder laut sein durften und als Jugendliche auch sinnlich und erotisch, dann haben wir diese Energien in uns abgeschnitten und unterdrückt. Vielleicht haben wir auch grenzüberschreitende, demütigende oder verletzende Erlebnisse gehabt, die mit Sexualität zusammen hängen. Um uns vor weiteren schmerzhaften Erfahrungen zu schützen, um unsere Angst in Grenzen zu halten oder um weiter zu funktionieren, hat unser Körper unbewusst eine Schutzhaltung eingenommen und unsere Empfindsamkeit vermindert. Wir spüren unseren Körper weniger und blenden Empfindungen aus. Damit schneiden wir uns ein Stück weit von unserer Lebensenergie ab. In der Folge fühlen wir uns weniger lebendig und es fällt uns schwerer, Freude und Genuss intensiv zu erleben.

Wenn wir in unserem Leben länger anhaltendem Stress oder länger andauernder Angst oder Überforderung ausgesetzt sind, kann das dann zu dauerhaften muskulären Verspannungen führen. Unser autonomes Nervensystem ist in dauerhafter Alarmbereitschaft.

Um die unangenehmen Gefühle nicht mehr spüren zu müssen, macht unser Körper dicht, sowohl die Muskeln wie auch die Haut verschließen sich. Viele Menschen gewöhnen sich an diese dauerhaft hohe Anspannung im Körper und empfinden sie dann irgendwann als normal. Durch diese Verspannungen und Verkrampfungen hindurch fühlen wir natürlich viel weniger als wir fühlen könnten.

Eine zu hohe Spannung in der Erregung

Wenn wir sexuell erregt werden, ist es normal. dass sich unsere Muskeln anspannen, denn ohne ein gewisses Maß an Muskelspannung kann Erregung nicht aufrechterhalten und gesteigert werden. Viele Menschen haben sich angewöhnt, ihre Erregung über eine hohe Muskelspannung bis zum Orgasmus zu steigern. Dabei wenden sie vor allem mechanische, schnelle Bewegungen an oder arbeiten mit Druck. Die Atmung ist eher flach, der Körper, mit Ausnahme der Hand, eher unbewegt oder gar starr. Das führt dann auch zu einem kurzen, schnellen Orgasmus. Oft ist aber das Erleben nicht genussvoll und intensiv, geschweige denn ekstatisch und im ganzen Körper spürbar. Denn eine hohe Muskelspannung hat zur Folge, dass unser Körper und unsere Genitalien weniger gut durchblutet werden. Weniger Durchblutung heißt auch weniger Spürvermögen. Durch die Muskelanspannung und den flachen Atem bekommen wir weniger von dem mit, was an und in unseren Genitalien passiert. Wir spüren dann nur starke Reize, feinere Berührungen nehmen wir gar nicht mehr wahr. Zudem kann es sich auch schnell überreizt oder schmerzhaft anfühlen.

Hier lohnt es sich in der Sexualität mit sich selbst neue Arten von Berührungen auszuprobieren, auch feinere und langsamere Berührungen, und so den Körper zum Umlernen einzuladen.

Im Körper sein - mit dem Fokus bei sich selbst

Eine weitere Ursache, warum Menschen wenig im Körper spüren ist, dass sie mehr im Kopf statt im Körper leben. Aber Sexualität findet überwiegend im Körper statt und nur zu einem kleinen Teil im Kopf. Für tiefes Empfinden und Erleben ist es ungünstig, wenn wir beim Sex daran denken, was wir morgen noch unbedingt erledigen müssen oder uns Gedanken darüber machen, ob wir gerade auch alles richtig machen. Ich erlebe es oft in meinen Sitzungen und Massagen, wie unglaublich schwer es manchen Menschen fällt, einfach in ihrem Körper anzukommen und den Kopf auszuschalten.

Eine weitere Vorraussetzung für intensives körperliches Erleben ist es, dass wir uns in unserem Körper zu Hause fühlen, dass wir ihn bewohnen und dass wir eine positive annehmende und wohlwollende Haltung ihm gegenüber haben.

Das beginnt mit unserer Beziehung zu unserem Körper. Wenn ich meinen Körper nicht mag, ihn ablehne, wenig berühre – wie soll dieser Körper dann zu feinen Empfindungen gelangen, zu einem ekstatischen Erleben oder zu lustvoller Hingabe?

Hier arbeite ich mit KlientInnen erst einmal daran, den eigenen Körper lieben zu lernen und eine positive Beziehung zum eigenen Körper und zum eigenen Genital aufzubauen.

Ein weiterer Punkt ist die Frage: Wo bin ich mit meinem Fokus, mit meiner Aufmerksamkeit beim Sex? Bin ich mit meiner Aufmerksamkeit bei mir selbst, bei meinem eigenen Körper, meinem eigenen Erleben oder bin ich mit meinem Fokus bei meinem Gegenüber? Wenn ich beim Sex mehr auf den anderen als auf mich selbst achte, dann bin ich ja nicht bei meinem eigenen Empfinden, dann bin ich im Kopf bei meinem Ggenüber. Wenn ich mir Gedanken darüber mache, ob das jetzt für mein Gegenüber schön ist, wie er oder sie das wohl gerade erlebt, ob es ihm oder ihr auch gefällt, was ich gerade tue. Um beim Sex mehr zu spüren, ist es wichtig, dass ich mit meinem Fokus auch immer weider bei mir selbst bin, in meinem Erleben.

Sich sicher fühlen, fallen lassen und hingeben

Wenn es uns gelingt vom Kopf in den Körper zu kommen, dann können wir uns nach und nach fallenlassen und hingeben. Eine Voraussetzung zu vollkommener Hingabe und vertieftem Genuss ist, dass wir uns sicher fühlen. Nur wenn du dich mit dem Menschen, mit dem du gerade zusammen bist wirklich sicher fühlst, nur wenn da uneingeschränktes Vertrauen ist, kannst du dich hingeben und ins Fühlen gehen. In ein Fühlen ohne jedes Denken. Vielleicht denkst du mal darüber nach, wie sicher du dich in deinen sexuellen Begegnungen fühlst.

Kannst du dich uneingeschränkt berühren lassen von diesem Menschen? Oder blockierst du schnell, schaltet sich dein Kopf dazwischen oder willst du gleich zurückberühren. Kannst du dich tief auf diese Berührungen einlassen, hineinschmelzen?

Fallen lassen ermöglicht eine tiefe Entspannung. Der Weg zurück zu mehr Empfindungsfähigkeit oder Lust und Genuss führt über die Entspannung. Es geht darum einen gelungenen Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung zu erreichen.

Mit der Beckenbodenspannung arbeiten

Ich habe weiter oben schon von einer zu hohen Körperspannung gesprochen. Diese kann auch den Beckenboden betreffen. Viele Frauen sind sich ihres Beckenbodens im Alltag wenig bewusst. Und auch ihre Beckenbodenspannung nehmen die meisten nicht bewusst wahr. Eine ungewollte Anspannung im Beckenboden kann den Genuss beim Sex beträchtlich stören oder dazu führen dass der Sex als schmerzhaft erlebt wird oder ein Eindringen gar nicht erst möglich ist. 

Daher ist es eine wertvolle Fähigkeit, die Beckenbodenmuskeln bewusst anspannen und auch wieder entspannen zu können. Das bedarf einer feinen Wahrnehmung und einiger Übung, aber mit der Zeit wird es dann möglich, den Beckenboden gezielt zu entspannen.

Aber auch der umgekehrte Fall – eine zu niedrige Beckenbodenspannung – kann dazu führen, dass Frauen beim Sex weniger empfinden. Dies hängt wieder mit der Durchblutung zusammen. Eine trainiertere Beckenbodenmuskulatur ist stärker durchblutet und besser durchblutete Körperstellen sind wiederum empfindlicher für Berührungen.

Du kannst die Stärke deiner Beckenbodenmuskeln selbst testen. Führe einen Finger 2-5cm tief in deine Vagina ein und spanne dann die Beckenbodenmuskeln an. Kannst du spüren, wie sich die Musklen um deinen Finger schließen? Oder spürst du nur einen zarten Druck? Kannst du den Druck bis zu 30 Sekunden lang halten oder werden die Muskeln vorher schwach und geben nach?

Den Körper in Bewegung bringen und verlangsamen

Eine gute Möglichkeit die Lust und Erregung beim Sex zu steigern ist Bewegung. Wenn unser Körper in Bewegung ist, dann werden automatisch verschiedene Muskeln an- und entspannt, um die unterschiedlichen Bewegungen möglich zu machen. Unser Körper kommt aus der Anspannung und dem Festhalten in einen fließenden Zustand. Das fördert die Durchblutung, wodurch wiederum mehr Fühlen möglich wird. Und mehr Fühlen öffnet die Tür zu mehr Genuss. 

Eine gute Möglichkeit, um deinen Beckenboden bewusster wahrzunehmen und gleichzeitig mehr Bewegung in die Sexualität zu bringen ist die Beckenschaukel. Dabei wird das Becken bewusst in eine Schaukelbewegung gebracht und das wird mit der Atmung und der An- und Entspannung des Beckenbodens kombiniert.

Am besten kannst du die Beckenschaukel zunächst in die Sexualität mit dir selbst integrieren. Da hast du Zeit, bist mit dem Fokus bei dir und kannst forschen und experimentieren um herauszufinden, wie die Bewegung das Gefühl der genitalen Berührungen verändert.

Auch als Mann kannst du die Beckenschaukel in die Sexualität mit dir selbst integrieren und dann später auch bei der gemeinsam gelebten Sexualität mal Schaukelbewegungen statt Stoßbewegungen ausprobieren.

Aber Bewegung in der Sexualität heißt nicht immer schnelle Bewegungen. Die Bewegungen können auch mal bewusst verlangsamt werden bis hin zum Stillstand. Schau doch mal, wieviel du noch spüren kannst, wenn ihr einfach ineinander seid und euch für eine Minute nicht bewegt. Oder wie es sich anfühlt mit verscheidenen Tempi zu spielen. Wann spürst du mehr, wann weniger. Wie unterscheiden sich die Empfindungen?

Neue Nervenbahnen zum Gehirn festigen

Wie vertraut bist du mit deinem vaginalen Innenraum? Berührst, erforschst und stimulierst du dich in der Sexualität mit dir selbst als Frau auch innen? Nur die wenigsten Frauen stimulieren sich selbst vaginal, vor allem nicht bevor sie ihr erstes Mal Sex hatten. Das heißt, ihr vaginaler Innenraum ist vollkommen unberührt. Die Stimulation der Klitoris hingegen entdecken viele Frauen früh für sich und machen sich mit ihr vertraut.

Die Nervenverbindungen vom Gehirn zur Vagina sind zwar vorhanden, aber eben noch nicht so sensibel. Je öfter du Sex hast und je aktiver du dich selbst innen berührst, desto aktiver werden die Nervenverbindungen in deiner Vagina.

Alles, was wir oft tun, hinterlässt Spuren im Gehirn. Für Dinge, die wir regelmäßig und oft tun, gibt es also Autobahnen im Gehirn. Die sind gut ausgebaut und viel befahren. Das ist bei vielen Frauen die Stimulation der Klitoris, eine gut ausgebaute Autobahn. Wenn du dich nun zum ersten Mal innen berührst, ist das wie wenn du einen kleinen Trampelpfad anlegst.

Diesen musst du dann oft gehen, damit er breiter und breiter wird und irgendwann wird er dann zur Straße und dann zur Autobahn. Jedes Mal, wenn eine Nervenverbindung durch Stimulation aktiviert wird und du dort hinein fühlst, dann wird der Trampelpfad breiter.

Wenn du ein Mann bist, wie variantenreich sind deine Berührungen, wenn du dich selbst berührst? Verfährst du immer nach dem gleichen Muster? Brauchst du kräftige Berührungen mit viel Druck oder Tempo, um deine Erregung zu steigern? Dein Körper ist es so gewohnt, in Erregung zu kommen. Wenn du lernen möchtest, auch feinere, zartere Berührungen als lustvoll zu erleben, dann darfst du deinen Penis resensibilisieren. Dann kann er sich nach und nach auch an feinere Berührungen gewöhnen und du wirst dabei immer mehr spüren. Auch hier kannst du den Trampelpfad der feinen Berührungen zur Autobahn ausbauen.

Das Spiel mit der Atmung und der Stimme

Ich bin schon darauf eingegangen, dass mit einer Amnspannung der Muskeln oft auch die Atmung flach wird und somit auch die Empfindungsfähigkeit. Denn auch unsere Atmung hilft beim Spüren und Genießen. Wenn wir tief und in den Bauch hinein atmen, wirkt das beruhigend auf das vegetative Nervensystem und verringert damit Gefühle wie Angst und Unsicherheit, die den Genuss beim Sex dämpfen können. Zum anderen unterstützt ein tiefes Ein- und Ausatmen das Wechselspiel zwischen An- und Entspannung verschiedener Muskeln, besonders der Beckenbodenmuskeln. Auch das Spiel mit dem Tempo der Atmung ist ein spannendes Experimentierfeld. Durch eine schnellere Atmung kannst du deine Erregung steigern und dich in eine höhere Energie bringen.

Und dann kannst du bei der Ausatmung deiner Stimme Raum geben und Töne von dir geben. Aaaah, ooooh, uuuhhhh … Trau dich mal so richtig zu stöhnen und deiner Lust über deine Raum zu geben. Das verändert und intensiviert dein Erleben spürbar.

“Oh, das kann ich nicht”, denkst du jetzt vielleicht. Womöglich, weil es dir als Kind abtrainiert wurde laut zu sein und viel Raum einzunehmen oder weil du Sex in Situationen oder Räumen hattest, in denen keiner etwas von deiner intensiven Lust mitkriegen durfte. Dann lade ich dich jetzt ein, das neu zu lernen. Du darfst Raum einnehmen. Du darfst lustvoll und laut sein. Deine Lust und deine Schreie sind willkommen!

Sexualität neu lernen in einem geschützten Raum

Da viele von uns Sexualität im Heranwachsen nur unzureichend gelernt haben oder weil es für viele wichtig ist, Neues dazu zu lernen oder umzulernen, eröffnen wir immer wieder geschützte Lernräume für Erwachsene, in denen es darum geht Sexualität neu zu lernen. Da erfährst du mehr darüber, wie du mehr Lust und Genuss beim Sex haben kannst. Wir setzen und praxisnah und anschaulich mit Anatomie, An- und Entspannung, Erregung, Orgasmen, dem Beckenboden, Atmung, Bewegung und Stimme auseinander und es gibt viel Raum für Austausch und Körperübungen.

Zum Schluss möchte ich dir sagen, dass sich dieses Umlernen und Neulernen wirklich lohnt. Jeder von uns ist ein ekstatisches erotisches Wesen und es ist unser Geburtsrecht Liebe, Lust und Genuss zu erleben.

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