Ich und meine Yoni – Schambereich oder Lustquelle?

Es gibt Orte in uns, die wir von klein auf mit vielen Stimmen hören – nur selten jedoch mit unserer eigenen. Die Yoni, die Vulva, die Vagina, das weibliche Genital: ein Ursprung von Leben, ein Quell von Lust, ein feiner Seismograf für Nähe und Grenzen. Und doch ist es für viele Frauen ein halb bekannter Kontinent, über den andere viel sagen – und wir selbst oft erstaunlich wenig. 

Vielleicht hast du sie nie wirklich angesehen. Vielleicht spürst du Scheu oder Zweifel, wenn du an sie denkst. Vielleicht trägst du Bilder in dir, die nie zu dir gehörten, und Normen, die dir nie gedient haben. Und doch wartet genau hier etwas still und geduldig: die Einladung, zurückzukehren. Nicht mit Urteil, sondern mit Neugier. Nicht mit Perfektionsanspruch, sondern mit Zärtlichkeit. Nicht als Pflicht, sondern als Möglichkeit, dich tiefer zu bewohnen.

Diese Reise beginnt dort, wo Worte weicher werden und Scham sich verwandeln darf. Sie beginnt, wenn du dich traust, hinzuschauen, zu benennen, zu fühlen. Und sie führt zu einem einfachen, kostbaren Satz: Ich gehöre mir.

Sprache schafft Realität

Viele Teile der äußeren weiblichen Genitalien werden im Deutschen mit dem Präfix „Scham-“ bezeichnet: Schambereich, Schamlippen, Schambein, Schamhaare. Aber warum Scham? Woher kommt diese Benennung – und was macht sie mit uns? Die Geschichte der Frauen und ihrer Sexualität ist auch, und immer noch, eine Geschichte der Scham. Obwohl Sexualität in Medien und Köpfen allgegenwärtig scheint, fehlt vielen Frauen die gelebte, sinnliche Beziehung zum eigenen Körper und zum Intimbereich. Alte Normen, Tabus und Verbote wirken weiter – leise, aber hartnäckig – und führen zu Unsicherheit, Unkenntnis und Scham. 

Sprache schafft Realität. Der weiblichste Teil von uns bleibt oft namenlos. Oder wird vage „untenrum“ genannt. Wie nennst du deinen Intimbereich? Ist er für dich mit Scham verknüpft – oder mit Freude, Zärtlichkeit und Lust?

Der Begriff „Schambereich“ stammt vor allem aus christlicher Prägung. In vielen anderen Sprachen existiert er so nicht. Im Duden lässt sich nachlesen, dass „Scham“ ursprünglich mit Beschämung und Schande in Verbindung stand und erst später auf die weiblichen Geschlechtsorgane angewandt wurde. Aus dem Altdeutschen stammt zudem die Bedeutung „das zu Bedeckende“. Doch was wir benennen, färben wir – und es färbt uns zurück.

Warum also nennen wir den weiblichen Intimbereich „Schambereich“? Warum sollte sich eine Frau für ihre Geschlechtlichkeit schämen? Die Lippen der Vulva gehören zur Weiblichkeit. Sie sind Teil von Sinnlichkeit und Sexualität – nicht Grund zur Verhüllung. Wollen wir, dass heranwachsende Mädchen und junge Frauen ihre Lust mit Schuld verknüpfen? Worte sind nicht neutral. Sprache schafft Realität. Wenn wir negative, begrenzende Wörter wählen, wie sollen wir uns dann attraktiv, lebendig und lustvoll fühlen?

Als Alternative zu „Schamlippen“ können wir „Labien“ verwenden – so wie in vielen anderen Sprachen. Auch „Venuslippen“ oder „Vulvalippen“ sind mögliche, wertschätzende Begriffe. Das „Schambein“ könnte „Venusknochen“ oder „Freudenbein“ heißen. Im Tantra und in der Tantramassage wird für den weiblichen Intimbereich das Sanskritwort „Yoni“ verwendet – es bedeutet „heiliger Ort“. Im Deutschen unterscheiden wir zwischen „Vagina“ für den inneren Kanal und „Vulva“ für den von außen sichtbaren Teil. In meiner Arbeit verwende ich keine Begriffe, die Scham in sich tragen. Im Folgenden spreche ich vom Begriff „Yoni“. So nenne ich auch meinen eigenen Intimbereich – als liebevolle, verehrende Bezeichnung.

Scham - menschlich, geprägt, verwandelbar

Scham ist zutiefst menschlich. Sie flüstert: „Ich bin anders“, „nicht richtig“, „nicht normal“. Es gibt eine natürliche Scham, die mit Grenzen zu tun hat. Wenn dein Haus brennt und du ohne Kleidung nach draußen musst, wirst du Scham empfinden – selbst wenn du in anderen Kontexten gerne nackt bist, in der Sauna oder am See. Neben dieser natürlichen Scham existiert eine übersteigerte, lähmende Scham. Sie ist anerzogen – das Ergebnis von Prägung. Dann schämen wir uns für unseren Körper, unseren Intimbereich, unsere Fantasien und Vorlieben, unsere sexuelle Orientierung, unsere Lust oder unser Beziehungsmodell. Diese Scham spiegelt sich in inneren, begrenzenden Glaubenssätzen. 

In der Gewaltfreien Kommunikation sehen wir Scham als ein Gefühl wie jedes andere. Gefühle weisen uns auf erfüllte oder unerfüllte Bedürfnisse hin. 

Viele Frauen hadern mit dem Aussehen ihrer Vulva: Sind meine inneren Lippen „zu groß“? Ist die Farbe „zu dunkel“? Die Behaarung „zu viel“? Die Vagina „zu weit“? Doch woher sollte ein gesundes Maßstabsempfinden kommen, wenn in Zeitschriften und Pornos meist retuschierte und operativ veränderte Vulven gezeigt werden? 

Claudia Haarmann, die Autorin des Buches “Unten rum – die Scham ist nicht vorbei”, hat unzählige Frauen interviewt, über ihr Verhältnis zu ihrem Körper, ihre Beziehungen, ihre Sexualität, ihre Schwierigkeiten und Sehnsüchte, und kommt zu dem Schluss:

Eines machen die Gespräche überdeutlich: Im Inneren sind wir ganz woanders, als die Außenwelt uns vorgibt. Von einem wirklich befreiten, selbstbestimmten, lustvollen Leben sind viele Frauen weit entfernt. Die Scham ist nicht vorbei.

Vulva-Vielfalt - normal ist vielfältig

Die Vulva ist so einzigartig wie ein Gesicht oder ein Fingerabdruck. Innere Labien können kleiner, gleich groß oder deutlich größer sein als die äußeren – jede Variante ist normal. Die Farbpalette reicht von zartrosa über bräunlich bis hin zu violetten Tönen und kann sich im Verlauf des Zyklus oder mit hormonellen Veränderungen wandeln. Fast alle Vulven sind asymmetrisch; kleine Unterschiede in Länge, Form oder Faltenwurf sind eher die Regel als die Ausnahme. Auch die Behaarung erzählt eine individuelle Geschichte: mal voll und üppig, mal kurz getrimmt, mal glatt – kulturell geprägt und biologisch variabel. Die Klitoriskapuze kann zarter oder ausgeprägter sein, was beeinflusst, wie direkt Berührung wahrgenommen wird. Narben von Geburten oder Operationen, Hautzustände wie Ekzeme oder Spuren von Piercings gehören ebenso zur persönlichen Landkarte dieses Körperbereichs. Während Medien oft ein schmales, retuschiertes Ideal zeigen, ist die gelebte Wirklichkeit unendlich vielgestaltig. Wer sein Blickfeld weiten möchte, findet in aufklärerischen Projekten wie The Vulva Gallery oder der australischen Labia Library vielfältige, respektvolle Einblicke.

In unseren Vulvaabdruckworkshops wird diese Vielfalt greifbar. 

Einen Tag lang befasst sich eine Gruppe von Frauen liebevoll mit der eigenen Vulva und es entstehen Gipsabdrücke der Vulven, die dann noch künstlerisch gestaltet werden.

Am Ende des Tages stehen alle staunend vor der entstandenen Vulva-Galerie, berührt von der dargebotenen Schönheit und Einzigartigkeit.

Kurz & klar: Anatomie der Vulva

Wenn wir über die äußeren Genitalien sprechen, meinen wir die Vulva – nicht die Vagina. Die Vulva umfasst den Venushügel oberhalb des Freudenbeins, häufig von Haaren bedeckt, die äußeren Labien, die wie ein schützender Rahmen wirken, und die inneren Labien, die oft sichtbar sind und in unendlicher Vielfalt geformt sein können. An der Spitze sitzt die Klitoris, von außen als Eichel erkennbar und von der Klitoriskapuze bedeckt, nach innen jedoch ein beeindruckend verzweigtes Lustorgan mit Schaft und zwei Schenkeln. Zwischen Klitoris und Vaginalöffnung liegt die Harnröhrenöffnung, der Vaginaleingang selbst führt in den elastischen, feuchtigkeitsregulierenden Kanal der Vagina, der sich an Erregung, Berührung und Kontext anpasst. Unterhalb des Eingangs befindet sich der Damm, ein sensibler Bereich zwischen Vagina und After. Das gesamte System ist eingebettet in den Beckenboden, ein fein aufeinander abgestimmtes Muskelnetz, das Organe trägt, Kontinenz unterstützt und das Lustempfinden mitprägt.

Kurz gesagt: Die Vulva ist der äußere, sichtbare Teil, die Vagina der innere Kanal – beides wirkt in einem lebendigen Zusammenspiel aus Nerven, Durchblutung und hormoneller Dynamik.

Wie ist deine Beziehung zu deiner Yoni?

Hast du dir schon einmal bewusst Raum genommen, um deine Beziehung zu deiner Yoni zu fühlen? Hat sie einen Platz in deinem Alltag? Findest du sie schön? Kannst du stolz auf sie sein? Wie sehr fühlst du dich in deinem Körper und in deiner Yoni zu Hause – verkörpert, bewohnt, geliebt?

Vielleicht spürst du Unsicherheit, Angst oder eine Art Nicht-Beziehung. Vervollständige doch einmal: „Meine Yoni ist für mich …“ Ich selbst hatte jahrelang Sex mit Männern, habe fünf Kinder geboren – und erst später begriffen, wie wenig Beziehung ich tatsächlich zu meiner Yoni hatte. Wie wenig ich in der Vagina innerlich wahrnahm. Es war ein leiser Schock – und ein Beginn.

Nimmst du deine Yoni im Alltag wahr? Was weißt du über deine Yoni? Hast du sie schon einmal liebevoll und voller Entdeckerfreude im Spiegel betrachtet? Weißt du wie sie im inneren aussieht? Hast du sie schon einmal wirklich angeschaut, so wie du eine Blume anschaust, die du schön findest?

Und wie viele andere Yonis hast du schon im Detail gesehen? Jungen sehen ihre Genitalien von klein auf, vergleichen, erforschen. Was ist mit Mädchen? Wo finden wir Vergleich, Wissen, Normalität?

Spiegelsitzungen und Vulva-Watchings - Räume der Würdigung

Ich wünsche mir, dass es selbstverständlich wird, dass Frauen einander ihre Vulven zeigen – in einem sicheren, achtsamen Rahmen – um die Vielfalt zu sehen und zu feiern. In Frauenkreisen habe ich tiefe, zärtliche Erfahrungen mit Spiegelsitzungen und Vulva-Watchings gemacht.

Bei einer Spiegelsitzung in der Gruppe betrachtet jede Frau ihre Yoni in einem Spiegel. Es wird Schritt für Schritt durch diese Erkundung durchgeführt. Wenn die Frauen dies möchten, können sie mit einem Spekulum auch das Innere ihrer Yoni und den Muttermund sehen.

Meine erste Spiegelsitzung werde ich nie vergessen. Da war kindliche Neugier, eine zarte Ehrfurcht vor dem Unbekannten. Ich entdeckte Bereiche, die ich mir noch nie so angesehen hatte: die Dammnarbe, den Harnröhrenausgang, die Skenedrüsen, die Runzelsäule am Eingang, die Klitoriskapuze, den Schaft. Dann dieser plötzliche, warme Gedanke: „Ist die schön. Ich finde sie wirklich schön.“ Diese Sitzung war ein Meilenstein – der Moment, in dem Beziehung begann.

Beim Vulva-Watching zeigen Frauen sich gegenseitig ihre Yonis. Hinschauen ist ausdrücklich erlaubt. Es entsteht eine Atmosphäre von Bewunderung, Andacht, Wertschätzung – ein heiliger Raum befreiter Weiblichkeit.

In einem Frauenkreis stellten wir einen weichen Thron auf. Eine Frau nach der anderen nahm Platz, öffnete die Beine – und wir schauten voller Staunen. „Oh, ist die schön.“ „Schau mal diese Schmetterlingsform.“ „Der Farbverlauf ist faszinierend.“ „Jetzt verstehe ich die Faszination – das ist wirklich ein heiliger Ort.“ Für die Frau auf dem Thron war es zutiefst berührend, diese Würdigung zu empfangen. Für uns alle war es heilsam.

Deine Yoni ist ein vielfältiger Ort, der entdeckt werden will. Ein Ort der Freude, Lust, Ekstase, Offenheit und Empfänglichkeit – und zugleich ein Ort der Trauer, des Schmerzes, der Zurückgezogenheit. Sie hält Schätze und zeigt Wunden. Gerade in dieser Vielfalt möchte sie angenommen werden. In Yonimassagen staune ich immer wieder über die Einzigartigkeit dieses heiligen Ortes.

Wie wollen wir unsere Sexualität genießen, wenn wir unseren Körper und unsere Yoni nicht so annehmen können, wie sie sind. Unser Körper und auch unsere Yoni halten vielfältige Empfindungen und Erlebensräume für uns bereit, Räume tiefer Entspannung, ekstatischer Lust oder wohliger Geborgenheit. Die meisten von uns nutzen nur einen Bruchteil dieser Ressourcen. Wir trauen uns nicht lustvoll zu sein, lebendig und kraftvoll zu sein. Wir haben Angst damit zu viel zu sein, zu kraftvoll, zu lebendig, zu ausgelassen, zu ekstatisch.

Deine Beziehung zu deiner Yoni vertiefen

Annäherung braucht Zeit, Achtsamkeit, Absichtslosigkeit. Vielleicht hat deine Yoni Lieblosigkeit, Grenzverletzungen oder Missbrauch erlebt. Jetzt braucht sie deine vollständige Annahme, dein Mitgefühl, deine klare, liebevolle Präsenz. Frauenkreise können dabei nährend sein: echte Begegnung jenseits von Rollen, jenseits des „So-tun-als-ob“. Wenn wir uns zeigen, wie wir sind, entsteht Nähe. Und wenn wir uns wieder an unseren Körper anschließen, verbinden wir uns mit unserer weiblichen Kraftquelle. Diese Kraft wirkt – in Beziehungen, Arbeit, Familie, Kreativität, Heilung.

Und falls du anhaltende Schmerzen, deutliche Veränderungen, wiederkehrende Trockenheit oder andere starke Beschwerden bemerkst, scheue dich nicht, dies gynäkologisch abklären zu lassen und/oder sexualtherapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen – fachliche Begleitung kann Klarheit und Heilung bringen.

Fazit: Rückeroberung von Würde und Lust

Wenn wir die Sprache verändern, verändert sich unser Erleben. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit immer wieder zu unserer Yoni lenken, beginnt sie sich gesehen zu fühlen. Wenn wir Scham als gelernt erkennen, kann sie sich wandeln. Wenn wir unsere Yoni betrachten, benennen, berühren – mit Zärtlichkeit und Respekt –, kehren wir heim in unseren Körper. Dort beginnt Freiheit. Dort beginnt Lust. Dort beginnt das tiefe, würdige Ja zu uns selbst. 

Ich lade dich ein, heute damit zu beginnen die Beziehung zu deiner Yoni zu vertiefen. Dafür möchte ich dir ein paar kleine Anregungen mitgeben:

Beginne damit, deine Worte zu heilen: Ersetze ab heute Begriffe, die Scham in sich tragen, durch Sprache der Würde – Yoni, Vulva, Labien, Venuslippen, Venusknochen.

Nimm deine Yoni im Alltag wahr. Während du auf einem Stuhl sitzt und deinen Tee trinkst, während du im Supermarkt an der Kasse wartest, während du spazieren gehst … Nimm  Kontakt mit deinem Beckenboden auf und lade anschließend fünf sanfte An- und Entspannungen des Beckenbodens ein, ganz sanft. Es geht ums Hinspüren.

Nimm dir ein paar Minuten Zeit und atme tief in den Beckenraum, den Schoßraum, spüre, wie sich die Atemenergie in deinem Schoßraum sammelt, wie die Ausatmung Weichheit bringt und dich zum Loslassen einlädt. Lenke deine Aufmerksamkeit zu deiner Yoni und verweile dort, ohne etwas zu tun, ohne Leistungsgedanken, einfach als feine innere Kontaktaufnahme.

Lege abends vor dem Schlafengehen und morgens nach dem Aufwachen eine Hand auf deine Yoni. Wünsche ihr eine gute Nacht oder einen wundervollen Morgen. Fühle was du unter deiner Hand wahrnehmen kannst und wie es sich für deine Yoni anfühlt, von deiner Hand gehalten zu werden.

Möge jede von uns ihre Yoni zukünftig als das erleben, was sie ist: ein heiliger Ort.

Unsere nächsten Events für Frauen

Und falls du Lust bekommen hast mal eine Spiegelsitzung oder ein Vulva-Watching zu erleben oder falls du gerne einen Gipsabdruck deiner eigenen Yoni haben möchtest, freue ich mich dich bei einem der Vulvaabdruckworkshops begrüßen zu dürfen.

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