Sexualität ist eine der kraftvollsten Ausdrucksformen menschlichen Lebens. Sie ist viel mehr als ein körperlicher Akt – sie ist Energie, Kommunikation, Verbundenheit, Lebendigkeit und gleichzeitig auch ein Spiegel unserer inneren Welt. Über Sexualität sprechen heißt, über den Menschen selbst zu sprechen: über Körper und Geist, über Gefühle und Beziehungen, über Lust und Scham, über das, was uns bewegt und berührt.
Jeder Mensch hat seine ganz eigene sexuelle Geschichte. Sie beginnt in der frühen Kindheit, prägt sich durch Erfahrungen, Vorbilder und Erziehung, durch Kultur und Beziehungen. Für viele Menschen ist Sexualität eine Quelle von Freude und Energie, für manche aber auch ein Bereich von Unsicherheit, Scham oder Schmerz. Vielleicht spüren wir, dass etwas in unserer Sexualität nicht (mehr) so fließt, wie wir es uns wünschen – sei es im Körper, in der Lust, in der Beziehung oder im Vertrauen zu uns selbst. Alle unsere Erfahrungen, Erziehungseinflüsse oder unbewussten Glaubenssätze wirken in dieses sensible Feld unserer Sexualität hinein und prägen unser Erleben – manchmal ohne, dass wir es merken.
Das Gute ist: Sexualität ist kein starres Gebilde. Sie ist lernbar, veränderbar und entwicklungsfähig – in jedem Alter und in jeder Lebensphase. Wir können lernen, bewusster zu spüren, unsere Bedürfnisse zu erkennen, Grenzen wahrzunehmen und neue Formen von Genuss, Nähe und Intimität zu entdecken. Und genau hier setzt Sexocorporel an: ein ganzheitliches Konzept, das Körper, Geist, Gefühle und Beziehungen miteinander verbindet und dich einlädt, deine Sexualität neu zu entdecken und zu gestalten.
In diesem Artikel stellen wir dir die Grundlagen und Anwendungen von Sexocorporel vor und zeigen dir, wie diese Methode dich unterstützen kann, ein erfüllteres, lebendigeres sexuelles Erleben zu entwickeln.
Was ist Sexocorporel?
Sexocorporel ist ein sexologisches und sexualtherapeutisches Konzept, das von dem Schweizer Psychotherapeuten Jean-Yves Desjardins (1931-2011) entwickelt wurde. Als Psychologe, Kriminologe und klinischer Sexologe arbeitete Jean-Yves Desjardins
mehr als 40 Jahre im Bereich der Sexologie. Das Konzept des Sexocorporel ist das Ergebnis seiner von klinischen Beobachtungen ausgehenden Erforschung der
menschlichen Sexualität.
Das Ziel von Sexocorporel ist nicht einfach „besserer Sex“. Es geht um sexuelle Gesundheit, Lebendigkeit und Selbstbestimmung. Menschen lernen, ihre eigene Sexualität bewusster zu gestalten – mit mehr Präsenz, Spürbewusstsein, Lust und innerer Freiheit.
Sexocorporel stärkt die Fähigkeit, den eigenen Körper als Freund und Quelle von Lust, Sicherheit und Verbindung zu erleben. Das führt oft nicht nur zu erfüllenderer Sexualität, sondern auch zu mehr Selbstvertrauen, Authentizität und Lebensfreude im Alltag.
Auf der Hompepage des Institut Sexocorporel International (ISI) könnt ihr mehr über Sexocorporel erfahren.
Die Grundlagen von Sexocorporel
Im folgenden möchten wir dir die Grundlagen vorstellen, auf denen der Ansatz des Sexocorporel basiert.
Körper und Geist bilden eine Einheit
Das Besondere am Sexocorporel ist sein ganzheitlicher Ansatz. Er betrachtet den Menschen als untrennbare Einheit von Körper, Geist, Emotion und Beziehung.
Jede Veränderung auf der körperlichen Ebene – etwa in Atmung, Haltung oder Bewegung – beeinflusst unser emotionales Erleben, unsere Gedanken und unsere Wahrnehmung. Und umgekehrt spiegeln sich Gefühle, Fantasien und Gedanken immer auch im Körper wider.
Sexualität ist nicht im Kopf, nicht im Körper – sie ist im Menschen.
Jean-Yves Desjardins
Innerpsychische Abläufe, die sich im expliziten Körper zeigen:
- Gedanken, Fantasien, Vorstellungen, Wahrnehmungen, Emotionen
- Bewegung, Haltung, Muskeltonus, Atmung, Bewegungsrhythmus, Sprache
Im Sexocorporel nutzen wir diese Einheit, indem wir die körperlichen Aspekte von Menschen genau beobachten, während sie uns gegenüber sitzen:
Wie atmest du?
Wie bewegst du dich?
Wie viel Spannung trägst du im Körper?
Wie viel Raum nimmst du ein – körperlich und energetisch?
Wir erfragen diese Aspekte auch im Bezug zur gelebten Sexualität:
Wie ist deine Atmung währenddessen?
Wie bewegst du dich? Schnell oder langsam?
Wie hoch ist deine Muskelspannung?
Wie viel Raum nimmst du dir? Erlaubst du dir lustvoll zu sein, laut zu sein, wild zu sein?
Daher arbeitet Sexocorporel sowohl mit Gesprächen als auch mit konkreten körperorientierten Übungen. In der Praxis bedeutet das: Menschen lernen, bewusster zu atmen, ihren Muskeltonus zu regulieren, ihre Bewegungen zu erweitern und neue sinnliche Erfahrungen zuzulassen. Durch diese körperliche Arbeit verändert sich auch das innere Erleben – Lust, Nähe und Vertrauen können wieder fließen.
Die vier Dimensionen des Körpers
Lebende Menschen sind immer in Bewegung. Diese Bewegung kann in vier Dimensionen ausgedrückt werden: Rhythmus, Raum, Spannung und Atmung.
Diese Dimensionen prägen nicht nur unseren Alltag, sondern auch unsere Sexualität. Sie bestimmen, wie wir Lust erleben, wie intensiv wir spüren und wie wir Erregung aufbauen und modulieren können.
Die Vier Dimensionen des Körpers
- Zeit (Bewegungsrhythmen): von langsam bis schnell
- Amplitude (Bewegungsraum): von eng bis raumgreifend
- Muskuläre Spannung (Muskeltonus): von schlaff bis angespannt
- Atmung (Atemraum): von flach bis tief, von schnell bis langsam
Wenn wir lernen, diese Dimensionen bewusst wahrzunehmen und zu steuern, können wir unsere sexuelle Energie regulieren, intensivieren und bewusster genießen.
Sexualität ist gelernt und veränderbar
An der Sexualität sind angeborene anatomische und physiologische Faktoren beteiligt. Diese Basis, zum Beispiel das biologische Geschlecht, ist gegeben. Wie wir jedoch unsere Sexualität erleben und was wir aus dem, was uns mitgegeben wurde machen, ist jedoch gelernt. Dieses Lernen beginnt in frühester Kindheit mit der Entdeckung des eigenen Körpers und setzt sich lebenslang fort. Jeder Mensch erwirbt in seiner Sexualität Fähigkeiten und Ressourcen.
Wir lernen, wie wir uns erregen, wie wir Lust ausdrücken und wie wir die Erregung bis zum Orgasmus steigern können. Wir entwickeln eine Beziehung zu unserem Körper und unserem Genital, wir eignen uns erotische Fähigkeiten an, wir entwicklen ein Glaubenssystem rund um Sexualität …
Keine menschliche Fähigkeit wird in ihrer Entwicklung von den Eltern und der Gesellschaft aber so wenig unterstützt, begleitet und verstanden wie die der Sexualität. Das sexuelle Lernen verläuft daher weitestgehend autodidaktisch und vielfach ohne Bewusstheit darüber, dass es sich dabei um Lernen handelt. Ebensowenig sind sich Menschen darüber bewusst, dass sie ihre Sexualität über neue Lernprozesse beeinflussen können, wenn sie an Grenzen stösst.
In Sexocorporel wird alles, was ein Mensch sexuell gelernt hat, als Fähigkeit und als Ressource gesehen. Je nach Anliegen zeigen sich Grenzen im sexuellen Lernprozess, die in der Behandlung, ausgehend von den Fähigkeiten, erweitert werden.
Sexocorporel betrachtet jede sexuelle Fähigkeit – auch vermeintliche „Probleme“ – als Ausdruck eines bisher gelernten Musters. Diese Muster sind keine Fehler, sondern einst sinnvolle Lösungsversuche, die sich heute vielleicht nicht mehr passend anfühlen. In der Behandlung geht es darum, neue Lernprozesse zu ermöglichen, die Sexualität wieder ins Fließen bringen.
Das Modell der sexuellen Gesundheit
Sexocorporel spricht vom Menschen als unteilbares Ganzes, als Individuum. Für die Untersuchung und Veranschaulichung seiner Sexualität betrachtet er das Individuum und seine Sexualität aber mit vier verschiedenen Brillen. Jede Brille nimmt einen anderen Aspekt in den Fokus: das Körperliche, das Erleben, die Beziehung, die Kognitionen, im Wissen, dass diese Komponenten verschiedene Aspekte des gleichen Individuums darstellen.
- Körperliche Komponenten: Sexuelle Erregung, sexuelle Erregungsmodi, sexuelle Erregungsquellen, die biologische Basis (Gene, Hormone, Nervensystem)
- Komponenten des emotionalen Erlebens: Gefühl der Geschlechtszugehörigkeit, sexuelles Lusterleben, sexuelles Begehren, erotische Fantasien, sexuelle Anziehungscodes, sexuelle Selbstsicherheit.
- Kognitive Komponenten: Wissen, Ideologien, Glaubenssysteme, Einstellungen, Kodifizierungen, Werturteile und Idealisierungen.
- Beziehungskomponenten: Erotische und Liebes-Kommunikation, Liebesgefühl, Verführung und erotische Fähigkeiten (zB. die Berührungskunst).
Zu Beginn jeder Begleitung arbeiten wir gemeinsam mit unseren KlientInnen die Komponenten ihrer ganz individuellen Sexualität heraus. Wir beleuchten die gelernten Fähigkeiten und Ressourcen der verschiedenen Komponenten und auch mögliche Grenzen und Herausforderungen.
Zu den Grundlagen und der Ausbildung in Sexocorporel kannst du auf der Homepage des Züricher Instituts für klinische Sexologie und Sexualtherapie mehr erfahren.
Anwendungen von Sexocorporel
Es ist das Grundrecht jedes Menschen, die eigene Sexualität erfüllend zu erleben. Wenn der sexuelle Lernprozess in der Kindheit und Jugend wenig gefördert oder durch eine sexualfeindliche Erziehung gebremst wird, kann das Menschen vor sexuelle Herausforderungen stellen. Auch negative oder traumatisierender Erfahrungen im Bezug auf Sexualität können zu Grenzen im sexuellen Erleben führen. Sexocorporel kann bei einer Vielzahl dieser Probleme und Herausforderungen unterstützend wirken.
Störungen der Ejakulation
Frühzeitiger oder rascher Samenerguss, vorzeitiger Samenerguss, verzögerte Ejakulation
Störung des sexuellen Begehrens
Mangelndes sexuelles Begehren (Verschmelzungsbegehren, Fortpflanzungsbegehren, etc.), generalisiertes mangelndes sexuelles Begehren
Störungen der Erektion
Primäre Erektionsstörung, sekundäre Erektionsstörung
Sexuelle Gewalt
Personen, die sexuelle Übergriffe erlitten oder ausgeübt haben
Orgasmusstörungen
Anorgastie, Anorgasmie, koitale Anorgasmie, Anejakulation
Sexuelle Orientierung
Gefühl der Geschlechtszugehörigkeit, Auseinandersetzungen mit sozialen Geschlechterrollen, Transsexualität
Schmerzen oder Taubheit beim Geschlechtsverkehr
Dyspareunie, Vaginismus (phobischer oder aufgrund einer Identitätsproblematik)
Beziehungsschwierigkeiten
Erotische Probleme, Verwirrung zwischen den Gefühlen der Liebe und des sexuellen Verlangens, Kommunikationsschwierigkeiten, Probleme der Verführung zwischen den Partnern, Uneinigkeit über das gelebte Beziehungsmodell.
Zu Beginn einer Begleitung werden diese vier Bereiche gemeinsam beleuchtet. Dadurch entsteht ein tiefes Verständnis der individuellen sexuellen Landkarte – mit all ihren Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten.
Die Behandlung im Sexocorporel
Der Ansatz des Sexocorporel bietet praktische und effektive Mittel zur Verbesserung des sexuellen Handelns und Erlebens. Die direkte Ursache sexueller Probleme liegt oft bei Grenzen im sexuellen Lernen. Entsprechend regt die Behandlung neue Lernprozesse an. Es geht um die Veränderung von Erregungs-, Wahrnehmungs-, Denk- und Interaktionsgewohnheiten. Die Behandlung berücksichtigt dabei verschiedene Ebenen: Gefühle, Gedanken, körperliche Bedingungen und Fähigkeiten sowie Beziehungskompetenzen.
Die Schritte eines Behandlungsprozesses:
- Evaluationsgespräch zu den vier Komponenten der Sexualität
- Erarbeitung der Fähigkeiten/ Ressourcen und der Grenzen im sexuellen Lernprozess
- Erläuterung der Ziele der Behandlung
- Aufbau und Integration von erotischen und sexuellen Fähigkeiten anhand vieler Körperübungen
- ggf. Einbeziehung des Partners / der Partnerin
- Abschließende Reflexion und Feiern
Ausgangspunkt jeder Behandlung ist der Körper. Im Zentrum der Sexocorporel-Behandlung stehen Körperübungen, die den Menschen dabei unterstützen, mehr in ihrem Körper anzukommen (Embodiment) und in ein neues Erleben zu kommen. Dabei handelt es sich um Übungen zu Gang und Haltung, Atemübungen, Beckenbodenübungen, die doppelte Schaukel, Entspannungsübungen und Übungen zur Selbstexploration und zur Paarexploration. Ein Großteil des Prozesses findet zwischen den Sitzungen zu Hause statt, denn es geht darum, das Gelernte in die aktuall gelebte Sexualität zu übertragen.
Das kannst du für dich gewinnen
Die Anwendung von Sexocorporel bietet eine Reihe von positiven körperlichen und zwischenmenschlichen Vorteilen und Gewinnen:
- Tieferes Verstehen der eigenen sexuellen Lerngeschichte: Sexocorporel ermöglicht dir ein tiefgehendes Verständnis deiner Fähigkeiten und Resoourcen wie deiner Grenzen und Herausforderungen.
Verbesserte Körperwahrnehmung: Sexocorporel ermöglicht es dir, eine tiefere Verbindung zu deinem eigenen Körper herzustellen und deine körperlichen Empfindungen und Bedürfnisse und auch deine Grenzen besser zu verstehen.
Reduzierung von Spannungen: Durch gezielte Übungen und Techniken können Spannungen im Körper gelöst werden, was zu einer verbesserten Entspannung und einem gesteigerten Wohlbefinden führen kann.
Steigerung der sexuellen Erregbarkeit: Sexocorporel kann dazu beitragen, deine sexuelle Erregbarkeit zu steigern und deine Fähigkeit zu intensiveren und befriedigenderen sexuellen Erfahrungen zu verbessern.
Förderung der Beziehung: Indem du eine tiefere Verbindung zu deinem eigenen Körper herstellst, kannst du auch deine Beziehung zu deinem Partner verbessern und eine größere Intimität und Verbundenheit erleben.
Unsere Persönlichen Erfahrungen
Seit vielen Jahren beschäftigen wir uns mit Themen wie Gewaltfreier Kommunikation, Tantramassage, sexologischer Körperarbeit und ganzheitlicher Gesundheit. Die Ausbildung im Sexocorporel war für uns ein natürlicher nächster Schritt – ein Weg, unser Wissen zu vertiefen und Menschen noch umfassender zu begleiten.
Auch unsere eigene Sexualität hat sich durch diesen Weg verändert: Sie wurde bewusster, lebendiger, verbundener. Wir haben gelernt, alte Muster zu verstehen, loszulassen und Raum für neue Erfahrungen zu schaffen.
Wenn du mehr dazu lesen möchtest:
- Jörns Weg von der vorzeitigen Ejakulation zu multiplen Orgasmen kannst du hier nachlesen.
- Oder Melanies Blogartikel, in dem es um: Mehr spüren und Genießen beim Sex geht.
Wir sind überzeugt: Es lohnt sich, den sexuellen Lernprozess im Erwachsenenleben fortzusetzen – mit Neugier, Mitgefühl und Lust auf Entwicklung.
Fazit
Sexocorporel ist ein ganzheitlicher, lebensnaher Ansatz, der Sexualität nicht nur „repariert“, sondern sie als lebendige, wandelbare Kraft versteht. Er lädt dich ein, dich selbst tiefer kennenzulernen, deinen Körper als Verbündeten zu erleben und deine Sexualität in ihrer ganzen Vielfalt zu entfalten.
Wenn du neugierig geworden bist und herausfinden möchtest, ob dieser Ansatz zu dir passt, melde dich gerne für ein unverbindliches Kennenlerngespräch.
Wir freuen uns darauf, dich auf deinem Weg zu einer erfüllteren, gesünderen und freieren Sexualität zu begleiten.
Unsere Seminare zur Sexualität
Wenn du Interesse daran hast, mehr über Sexocorporel und die sexologische Körperarbeit zu erfahren, könnte auch unser Basisseminar: Sexualität lebendig und lustvoll leben genau das Richtige für dich sein. Im Basisseminar vermittelt wir die Grundlagen von Sexocorporel und der sexologischen Körperarbeit und zeigen dir Körperübungen, um dein Erleben zu verändern.
24.01.2026 - 25.01.2026
Online-Abende: Let's talk about sex
Bei unseren Online-Abenden steht jeweils ein Schwerpunkt gelebter Sexualität im Vordergrund. Du erfährst hilfreiches Wissen und kannst uns alle deine Fragen stellen.