Viele Teile der äußeren weiblichen Genitalien werden mit dem Vorwort Scham- beschrieben: Schambereich, Schamlippen, Schambein, Schamhaare. Doch woher kommt diese Bezeichnung? Und warum Scham? Müssen wir Frauen uns dafür schämen? Die Geschichte der Frauen und ihrer Sexualität ist auch und immer noch eine Geschichte der Scham. Obwohl Sexualität in den Köpfen und in den Medien allgegenwärtig ist, fehlt vielen Frauen die sexuelle Beziehung zu ihrem Körper und ihrem Intimbereich. Immer noch wirken alte und starre Normen, Tabus und Verbote, die sich in der sexuellen Welt der Frauen nach wie vor massiv auswirken und zu Unsicherheit, Unkenntnis und Scham führen. Wieviel Lust, Leidenschaft und Körperlichkeit kannst du selbst zulassen? Wie frei fühlst du dich in deiner gelebten Sexualität?
Sprache schafft Realität
Der weiblichste Teil von uns bleibt oft auch namenlos. Oder wird schlichtweg “unten rum” genannt. Wie nennst du deinen Intimbereich? Und womit verknüpfst du ihn, mit Scham oder mit Freude und Lust?
Der Begriff Schambereich kommt vor allem aus der christlichen Prägung. in anderen Sprachen gibt es den Begriff Schambereich nicht. Im Duden kann ich nachlesen, dass das Wort Scham ursprünglich in Zusammenhang mit Beschämung oder Schande verwendet wurde. Erst deutlich später hat es die heutige Bedeutung im Zusammenhang mit den weiblichen Geschlechtsorganen erhalten. Außerdem hat es aus dem Altdeutschen die Bedeutung “das zu Bedeckende”.
Warum nennen wir den weiblichen Intimbereich Schambereich? Warum muss sich eine Frau bzgl. ihres Geschlechts schämen? Die Schamlippen gehören mit zur Weiblichkeit. Sie sind Teil von Sinnlichkeit und Sexualität. Sie sind kein Grund sich zu verstecken oder gar zu schämen. Wollen wir dass die jetzt heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen sich für ihr Geschlecht und ihre Lust schämen?
Die Bezeichnung Schambereich ist nicht einfach nur ein Wort ist. Sprache schafft Realität. Wenn wir negative und eingrenzende Wörter verwenden, wie sollen wir uns da attraktiv und lustvoll fühlen?
Als Alternative für die Schamlippen könnte zunächst einmal schlicht und einfach auch der Begriff Labien verwendet werden, genau wie in vielen anderen Sprachen. Eine andere mögliche Bezeichnung, die ich öfter finden konnte, war Venuslippen. Der Begriff ist abgeleitet von der römischen Liebesgöttin Venus. Oder Vulvalippen.
Und auch das Schambein könnten wir Venusknochen oder Freudenbein nennen.
Im Tantra und in der Tantramassage wird für den weiblichen Intimbereich das Sanskritwort Yoni verwendet. Es bedeutet “heiliger Ort”. Ansonsten sprechen wir im Deutschen von Vula und Vagina. Dabei bezeichnet die Vagina den inneren Teil des weiblichen Geschlechts und die Vulva den von außen sichtbaren Teil.
In unserer Arbeit verwenden wir keinerlei Begriffe, in denen Scham enthalten ist. Im folgenden werde ich für den weiblichen Intimbereich den Begriff Yoni verwenden. So nenne ich auch meinen eigenen Intimbereich. Für mich ist das eine liebevolle, verehrende Bezeichnung.
Scham verbunden mit dem Intimbereich
Scham ist etwas durch und durch Menschliches. Scham geht einher mit Gedanken, nicht richtig zu sein, anders als die anderen zu sein, nicht normal zu sein. Scham empfinden wir, wenn wir etwas anderes leben als die Norm der Gesellschaft, wenn wir anders aussehen als die Norm, anders fühlen als die Norm. Wir alle schämen uns hin und wieder und das ist okay. Eine liebevoll gelebte Beziehung mit dir selbst kann dich unterstützen, Scham zu überwinden.
In der Gewaltfreien Kommunikation sehen wir Scham als ein Gefühl wie jedes andere. Gefühle weisen uns auf erfüllte oder unerfüllte Bedürfnisse hin. Für mich gibt es eine natürliche Scham. Die empfinden alle Menschen, unabhängig davon, ob du deinen Körper magst oder nicht. Wenn dein Haus brennt und du kommst nicht an deine Kleider ran und musst nackt auf die Straße laufen, dann würdest du diese Scham empfinden, auch wenn du es in anderen Kontexten genießt nackt zu sein, z.B. in der Sauna oder am FKK-See. Neben der natürlichen Scham gibt es eine übersteigerte, begrenzende und lähmende Scham. Diese Scham ist anerzogen, ein Ergebnis von Prägung. Dann schämen wir uns für Dinge, für die es nichts zu schämen gibt. Wir schämen uns für Dinge, die in unserer Gesellschaft nach wie vor tabuisiert und verurteilt werden.
Scham begegnet uns in vielen Facetten.Wir schämen uns für unseren Körper, für unseren Intimbereich, unsere Lust und Leidenschaft, für die Fantasien, Wünsche und Vorlieben, die wir im Bezug auf Sexualität haben, für unsere sexuelle Orientierung oder für unser favorisiertes Beziehungsmodell.
Diese Scham zeigt sich in begrenzenden Glaubenssätzen. Viele Frauen hadern mit dem Aussehen ihres Intimbereichs. Sie fragen sich, ob sie normal sind. Sie empfinden ihre Venuslippen als zu groß, die Farbe als zu dunkel, die Behaarung als zu viel, die Vagina als zu weit, … Aber wie sollen sie auch einschätzen, ob sie normal sind. In Zeitschriften oder Pornos werden harmonisch aussehende Vulven gezeigt, fein auseinander gefaltete Flügel in zarten Rosatönen, gleich große, aber eben nicht zu große innere Lippen. Oft sind diese Vulven in Fotoprogrammen nachbearbeitet oder in Schönheitsoperationen geformt worden. In der Realität ist die Vielfalt unglaublich groß. Vulvalippen haben die unterschiedlichsten Formen und Farben und oft sind die inneren Lippen größer als die äußeren Lippen.
Claudia Haarmann, die Autorin des Buches “Unten rum – die Scham ist nicht vorbei”, hat unzählige Frauen interviewt, über ihr Verhältnis zu ihrem Körper, ihre Beziehungen, ihre Sexualität, ihre Schwierigkeiten und Sehnsüchte, und kommt zu dem Schluss:
Eines machen die Gespräche überdeutlich: Im Inneren sind wir ganz woanders, als die Außenwelt uns vorgibt. Von einem wirklich befreiten, selbstbestimmten, lustvollen Leben sind viele Frauen weit entfernt. Die Scham ist nicht vorbei.
Claudia Haarmann
Wie ist deine Beziehung zu deiner Yoni?
Hast du dir schon einmal Gedanken über deine Beziehung zu deiner Yoni gemacht? Nimmst du sie überhaupt bewusst zur Kenntnis? Hat sie einen Platz in deinem Alltag? Findest du sie schön? Kannst du stolz auf sie sein? Wie sehr fühlst du dich in deinem Körper und in deiner Yoni zu Hause? Wie verkörpert fühlst du dich?
Vielleicht ist da auch bei dir Scham oder Unsicherheit oder Angst oder einfach eine Nicht-Beziehung. Wenn du folgenden Satz vervollständigen würdest, wie würde er lauten: Meine Yoni ist für mich …
Also ich persönlich hatte jahrelang Sex mit Männern, habe fünf Kinder geboren und dann wurde mir erst bewusst, wie wenig Beziehung ich eigentlich zu meiner Yoni habe. Und auch wie wenig ich beim Geschlechtsverkehr im Innenraum meiner Vagina spüre.
Nimmst du deine Yoni im Alltag wahr? Was weißt du über deine Yoni? Hast du sie schon einmal liebevoll und voller Entdeckerfreude im Spiegel betrachtet? Weißt du wie sie im inneren aussieht? Hast du sie schon einmal wirklich angeschaut, so wie du eine Blume anschaust, die du schön findest?
Und wie viele andere Yonis hast du schon im Detail gesehen? Weißt du wie andere Frauen “da unten” aussehen? Für Männer ist das von klein auf selbstverständlich. Ihre Genitalien sind von außen gut sichtbar. Jungen vergleichen ihre Penisse miteinander. Was ist mit den Mädchen und später den Frauen? Woher bekommen sie Vergleichsmöglichkeiten?
Spiegelsitzungen und Vulva-Watchings
Ich wünsche mir, dass es selbstverständlich wird, dass wir Frauen uns gegenseitig unsere Vulven zeigen und uns ein Bild von der unglaublichen Vielfalt machen können. In Frauenkreisen hatte ich unglaublich berührende Erlebnisse mit Spiegelsitzungen und Vulva-Watschings.
Bei einer Spiegelsitzung in der Gruppe betrachtet jede Frau ihre Yoni in einem Spiegel. Es wird Schritt für Schritt durch diese Erkundung durchgeführt. Wenn die Frauen dies möchten, können sie mit einem Spekulum auch das Innere ihrer Yoni und den Muttermund sehen.
Ich kann mich noch gut an meine erste Spiegelsitzung erinnern. Da war so eine kindliche Neugierde, alles zu erkunden. Bereiche, die ich mir noch nie so genau angeschaut hatte: meine Dammnarbe, den Harnröhrenausgang, die Skenedrüsen, die Runzelsäule am Yonieingang, die Klitoriskapuze und den Schaft. Ich saß da und war gerührt und mir schoß der Gedanke durch den Kopf: Ist die schön! Ich finde sie richtig schön! Diese Spiegelsitzung war ein Meilenstein auf meinem Weg, eine Beziehung zu meiner Yoni aufzubauen.
Bei einem Vulva-Watching zeigen die Frauen sich gegeseitig ihre Yonis. Da ist Hinschauen ausdrücklich erlaubt. Es herrscht eine Athmosphäre der Bewunderung, Andächtigkeit und Wertschätzung. Das ist ein sehr besonderer, heiliger Raum, ein Raum purer befreiter Weiblichkeit.
In einem Frauenkreis haben wir einen Thron aufgebaut, einen sehr bequemen Thron mit vielen Kissen und Decken. Eine Frau nach der anderen hat sich auf diesen Thron gesetzt und ihre Beine geöffnet. Wir anderen Frauen saßen staunend davor, ehrfürchtig, berührt und haben uns dieses Wunder angeschaut. Es kamen Ausrufe wie “Oh, ist die schön”, “schau mal diese Schmetterlingsform”, “der Verlauf der Farben ist fasziniersend, “das ist wirklich ein heiliger Ort, jetzt kann ich die Faszination der Männer verstehen”. Für die Frauen auf dem Thron war es so berührend, die Bewunderung und Verehrung der anderen Frauen zu spüren.
Ein vielfältiger Ort
Deine Yoni ist ein sehr vielfältiger Ort, den es zu entdecken gilt. Sie ist ein Ort der Freude, der Lust und Ekstase, der Aufgeschlossenheit und Empfänglichkeit und genauso ein Ort der Trauer, des Schmerzes und der Zurückgezogenheit. Sie hält wahre Schätze für dich bereit und sie zeigt dir deine tiefsten Wunden. Gerade in dieser Vielfältigkeit möchte sie angenommen und geschätzt werden. In Yonimassagen überrascht mich die Vielfältigkeit dieses heiligen Ortes immer wieder.
Wie wollen wir unsere Sexualität genießen, wenn wir unseren Körper und unsere Yoni nicht so annehmen können, wie sie sind. Unser Körper und auch unsere Yoni halten vielfältige Empfindungen und Erlebensräume für uns bereit, Räume tiefer Entspannung, ekstatischer Lust oder wohliger Geborgenheit. Die meisten von uns nutzen nur einen Bruchteil dieser Ressourcen. Wir trauen uns nicht lustvoll zu sein, lebendig und kraftvoll zu sein. Wir haben Angst damit zu viel zu sein, zu kraftvoll, zu lebendig, zu ausgelassen, zu ekstatisch.
Deine Beziehung zu deiner Yoni vertiefen
Es braucht ein behutsames, absichtsloses Annähern, um dich mit deiner Yoni vertrauter zu machen. Vielleicht hat sie schlechte Erfahrungen gemacht, Lieblosigkeit oder Missbrauch erfahren. Jetzt braucht sie deine vollkommende Annahme und dein Mitgefühl.
Da können Frauenkreise sehr unterstützend und nährend sein, der offene Kontakt mit anderen Frauen – jenseits aller Vorstellungen und jenseits des So-tun-als-ob. Wenn wir Frauen uns untereinander so zeigen, wie wir sind entsteht wahrhaftige Nähe. Und wenn wir uns wieder mit unserem Körper und unserer Yoni verbinden, haben wir Zugang zu unserer weiblichen Kraftquelle. Wenn wir diese Kraft strahlen lassen, hat das Auswirkungen in alle Lebendbereiche hinein.
Bei unserem Frauenzyklus “Befreit Frau sein” kannst du dich mit dir selbst, deinem Körper und deiner Yoni und mit deiner Sexualität im geschütztn Frauenkreis auseinander setzen.